Von Aussenstehenden, -manchmal sogar von den Haltern selbst-, werden sie oft abwertend als "Giftzwerg" oder "Kampfratte" bezeichnet.
Das wird ihnen nicht gerecht.
Das grosse Handycap der kleinen Hunde
Hunde von Zwergrassen sind klein (logisch!) und dadurch handlich. Sie brauchen nicht viel Platz. Im Zug und im Flugzeug gehen sie als Handgepäck durch und verursachen so wenig bis keine zusätzlichen Kosten.
Es ist praktisch, wenn man den kleinen Hund schnell mal auf den Arm nehmen kann (das befürworte ich sogar in speziellen Fällen). Man sie in eine Tasche oder in einen Rucksack packen kann.
Kleine Hunde werden im Restaurant oder auf Verwandtschaftsbesuch eher toleriert als grosse Hunde.
Kleine Hunde brauchen wenig zu fressen, machen kleine "Haufen" und gelten als weniger anspruchsvoll.
Und nicht zuletzt lässt sich für einen kleinen Hund problemloser eine Betreuungsperson finden, wenn man sich selbst nicht kümmern kann.
Dies alles, weil das Zuchtziel vor allem eines im Fokus hat, der Hund soll in erster Linie dafür geeignet sein, dem Menschen Gesellschaft zu leisten. Man nennt sie daher auch Gesellschaftshunde.
So viele Vorteile für den Hundehalter!
Und ein riesengrosses Verhängnis für so manchen kleinen Hund!
Der Weg vom süssen kleinen Fellbündel über den Giftzwerg bis zur Kampfratte
Kleine Hunde zeigen das selbe Verhaltensrepertoire wie grosse Hunde und sie haben die selben Grundbedürfnisse.
An erster Stelle steht bei allen Hunden das Bedürfnis nach ausgleichender Ruhe und Vorhersehbarkeit. Dieses wird in der heutigen, hektischen Zeit generell von sehr vielen Hundehaltern unterschätzt und missachtet.
Ich beobachte regelmässig, dass geregelte und somit für den Hund vorhersehbare Tagesabläufe mit genügend Ruhephasen als Ausgleich zum anspruchsvollen Alltag zu kurz kommen.
Auf kleine Hunde trifft dies gleich um ein Mehrfaches zu. Gerade weil sie eben so praktisch überallhin mitzunehmen sind.
Dieses überallhin Mitgenommen werden bewirkt, dass sie tagtäglich mehr oder weniger unbewusst einer Flut von Reizen ausgesetzt werden. Sie können kaum zur Ruhe kommen und wenn, dann ist ein tiefer entspannter Schlaf oft nicht möglich.
Du denkst jetzt vielleicht: " aber er schläft doch! im Zug - im Auto - im Büro....."
Doch bedenke, Schlaf ist nicht gleich Schlaf. Das weisst Du bestimmt aus eigener Erfahrung: Man kann "schlafen wie ein Bär"- man kann mehr oder weniger gut schlafen - man kann schlecht schlafen - oder man wälzt sich im Bett und hat am Morgen das Gefühl gar nicht geschlafen zu haben.
Und Du stimmst mir sicher zu, wenn ich sage, dass die Tatsache wie gut wir schlafen, von den Erlebnissen des Tages und der Schlafstätte abhängig sind.
Und auch das kennst Du: wie gut wir geschlafen haben, hat einen grossen Einfluss auf unser Wohlbefinden am nächsten Tag. Und damit auch auf unser Verhalten den Mitmenschen gegenüber.
Warum sollte das bei unseren Hunden anders sein??
Auch unsere Hunde tragen belastende Ereignisse noch zwei, drei Tage mit sich herum.
Nur können sie es nicht wie wir in Worte fassen! Sie können nicht am Morgen schon unter der Bürotüre entschuldigend sagen:" ich bin heute nicht gut drauf, habe ja soooo schlecht geschlafen letzte Nacht!" Und in Gedanken schwingt da doch oft mit: "Drum lasst mich am besten alle mal in Ruhe!"
So herum betrachtet wird Dir jetzt vermutlich klar, warum denn so mancher Hund manchmal knurrt und keift, wenn ihm Menschen oder Artgenossen zu nahe kommen.
Wenn wir diesen Aspekt in Betracht ziehen, wird klar, dass diese Hunde das nicht so völlig Grundlos tun wie wir Menschen nur all zu oft unterstellen.
Zuwenig Ruhe und Vorhersehbarkeit sind die am meisten auftretenden Gründe für aggressives Verhalten. (Natürlich gibt es auch Andere)
Wir tun daher unseren Hunden einen grossen Gefallen, wenn wir für ausreichend Ruhe und für Vorhersehbarkeit des Geschehens sorgen.
Dies gilt für die Grossen und für die Keinen erst recht.
Vergiss das bitte nicht!
Das Handycap Handling
Wir Menschen zeigen kleinen Hunden gegenüber ganz unbewusst ein völlig anderes Verhalten als bei grossen Hunden.
Wird ein Mensch zb. von einem Rottweiler angeknurrt, tut Mensch in den meisten Fällen das einzig Richtige: er vermeidet Blickkontakt und geht auf Distanz.
Knurrt aber ein Hund einer Zwergrasse einen Menschen an, kann man ganz oft beobachten, dass der Mensch stehen bleibt (nicht respektieren der Individualdistanz), sich auch noch vornüberbeugt (bedrohlich), den Hund direkt anschaut (eskalierendes Verhalten) und auf ihn einredet.
Alle diese menschlichen Verhaltensweisen verstärken das Knurren und haben eventuell sogar zur Folge, dass der kleine Hund beginnt zu schnappen.
Das Verhalten solcher Menschen lässt das süsse Hündchen zum Giftzwerg mutieren.
Weigert sich zb. eine deutsche Dogge beharrlich weiter zu gehen, so hat sie auf Grund ihrer Grösse gute Chancen, dass ihr Verhalten die angestrebte Funktion "nicht dort hin gehen müssen" erfüllt. Weigert sich jedoch zb. ein Chihuahua weiter zu gehen, wird er im besten Fall einfach unter den Arm geklemmt, im schlechtesten Fall einfach mit der Leine mitgeschleift.
Oben genannte Funktion des Verhaltens wird für einen kleinen Hund an der Leine also selten erfüllt. So ist der Kleine gezwungen, ein alternatives Verhalten zu suchen das Distanz wieder herstellen kann. Das ist bellen,keifen, angreifen.
Die Kampfratte ist geboren!
Bitte verstehe dieses Beispiel nicht falsch! Ich bin nicht der Meinung, dass Hund seinen Willen immer durchsetzen darf.
Doch ich bin sehr wohl der Meinung, dass man Hund Zeit und Raum einräumen soll, um mit einer schwierigen Situation angepasst umgehen zu können. Gesteht man ihm das zu, wird er sich immer häufiger und aus freien Stücken an uns orientieren. Und er wird immer besser darin werden, schwierige Situationen zu meistern.
Das Selbe gilt für den Umgang mit grossen Artgenossen. Weil der Grosse laut Besitzer total nett und friedlich ist, wird so mancher kleine Hund unvermittelt in einen völlig überfordernden Freilauf geschickt und sich selbst überlassen.
Es wird nicht bedacht, dass zb. ein durchaus freundlich und als Spielaufforderung gemeintes, jedoch ungeschicktes Pfotenauflegen des Grossen für den Kleinen unangenehm bis schmerzhaft sein kann. Kein Wunder dass er sich dann wehrt. Kein Wunder, dass er Lautstark anfängt Distanz einzufordern.
Und schon ist er geboren: der kleine, grössenwahnsinnige Hund.
Du siehst:Kleine Hunde brauchen eine sehr, sehr kompetent begleitete Sozialisierung. Nur dann steht einem freundlichen, entspannten Umgang mit Artgenossen, fremden Menschen und anderen Tieren nichts im Weg.
Sind kleine Hunde schwieriger zu erziehen?
Jein!
Im Grundsatz lernen die Kleinen genauso gut wie die Grossen. Doch es gibt bei den Kleinen viel mehr unbewusst ablaufende menschliche Faktoren, die die Erziehung ungünstig beeinflussen:
Die Tendenz der Menschen, kleine Hunde unbewusst körperlich zu manipulieren ist um ein vielfaches Grösser als bei grossen Hunden.
Wer sein Hündchen nach einem erfolgreichen Rückruf so behandelt, darf sich nicht wundern, wenn er bald gar nicht mehr kommt wenn er gerufen wird.
Erziehungsversuche werden von aussenstehenden Menschen oft vereitelt
Die Problematik des Knurren und Bellen gegen Menschen habe ich weiter oben schon angesprochen.
Doch es gibt noch andere Unarten, die von aussenstehenden Menschen immer wieder verstärkt werden. So zum Beispiel das Hochspringen.
Halter von kleinen Hunden bekommen oft zu hören: "ach lassen Sie ihn doch! Er ist ja so süss!" Und das Hündchen wird auch noch gestreichelt, während es munter hoch springt.
Springt ein Hund einer grossen Rasse an Passanten hoch, ist die Reaktion eine ganz andere: der Hund wir meist grob abgewehrt und oft wird der Halter noch beschimpft:" haben Sie denn Ihren Hund nicht im Griff?"
Einem kleinen Hund das ruhige Verhalten in einem Restaurant beizubringen ist oft ein Ding der Unmöglichkeit. Denn wird das süsse Hündchen erst von einem Menschen entdeckt, bildet sich oft eine ganze Menschentraube, jeder will den süssen Vierbeiner streicheln. Dies ist natürlich sehr aufregend für den Hund und macht alles antrainierte, ruhige Verhalten zunichte.
Für den Halter wird es dann sehr schwer, für seinen Hund und dessen Erziehung einzustehen, ohne dabei unfreundlich auf die Menschen zu wirken.
gesundheitliche Handicaps
Die Zucht auf Kleinheit und Niedlichkeit hat ihren Preis. So leiden kleine Hunde oft an
- Patella- Luxuation, einem schmerzhaften Verschieben/Herausspringen der Kniescheibe.
Hunde mit niedlichen rund gezüchteten Köpfen leiden an
- den Folgen der stark verkürzten Nase
-
- vermehrt Probleme in den oberen Atemwegen
- Atmung ist stark behindert
- schlecht funktionierende Thermoregulation über das Hecheln
Aufgrund der oftmals überdimensionierten Augen sind betroffene Kleinhunde
- anfälliger gegenüber Augeninfektionen und -Krankeiten.
Dies sind nur die bekanntesten gesundheitlichen Probleme, welche sich zeigen können. Diese Liste ist nicht vollständig.
Gesundheitliche Beeinträchtigungen beeinflussen das Verhalten. Nur wer sich gut fühlt, kann sich auch gut verhalten.
kleiner Hund - grosse Aufgabe
Du siehst: einem kleinen Hund ein zu Hause zu geben ist eine grosse Aufgabe. Auch wenn vieles einfacher ist als bei grossen Hunden, ist doch vieles auch eine ungleich grössere Herausforderung.
Wenn Du Dir dessen bewusst bist, Dich den Herausforderungen stellst und für die Bedürfnisse Deines kleinen Hundes einstehst, dann steht einer wundervollen Partnerschaft von Hund David und Mensch Goliath jedoch nichts im Weg!