Wenn man die Menschen nach den Bedürfnissen eines Hunde fragt, dann kommt meist wie aus der Pistole geschossen die Antwort: "viel Bewegung und Auslastung"
Ok. Bewegung und geistige Auslastung sind Bedürfnisse von Hunden. Doch diese stehen bei weitem nicht an erster Stelle für ein glückliches, ausgeglichenes Hundeleben.
Was sind denn die primären Bedürfnisse eines Hundes?
Neben fressen, trinken und schlafen steht an aller erster Stelle das Bedürfnis nach Sicherheit und Unversehrtheit. Die Bezeichnung "unsicherer Hund" ist zwar in aller Leute Munde. Doch die wenigsten machen sich Gedanken, was denn einen Hund zu einem unsicheren Hund macht. Bzw. was denn dazu beiträgt aus einem Hund einen souveränen Hund zu machen. Die meisten Menschen betrachten die Unsicherheit eines Hundes als etwas, das in die Wiege gelegt wurde und einfach akzeptiert werden muss. Und nicht selten werden unsichere Hunde belächelt oder verspottet. Manchmal sogar vom eigenen Menschen....
Wer aber mit dem Bedürfnis nach Sicherheit achtsam und pflichtbewusst umgeht, wird feststellen, dass der Hundehalter zu einem grossen Teil und manchmal in völlig banalen Situationen die Verantwortung übernehmen, und für seinen Hund einstehen muss.
Das muss nicht heissen, dass man sich überall einmischen muss. Doch es bedeutet, dass man in der Lage sein muss, zu erkennen, wann sich der Hund in einer Situation nicht wohlfühlt. Und zu wissen, wie man dann dem Hund am besten zur Seite stehen kann.
Ob nach ein, zwei, drei Jahren des Zusammenlebens der Hund sich vertrauensvoll am Menschen orientiert und souverän mit ihm durchs Leben geht, ist stark vom Verhalten des Hundehalters abhängig. Ob der Hund zum Angstbeisser, Raufbold oder Angsthasen wird, der zusehends seine eigenen Entscheidungen trifft auch. Letzteres oft darum, weil der Hund die Lernerfahrung gemacht hat, dass er vom Menschen keine Unterstützung erwarten kann wenn es brenzlig wird. Und brenzlig wird es für einen Hund nicht erst dann, wenn eine Situation eskaliert. Der Hund zeigt immer schon sehr viel früher durch subtile körpersprachliche Signale, dass ihm eine Situation nicht (mehr) behagt.
Hundesport ist in der Lage die Bedürfnisse nach Bewegung und geistiger Auslastung zu befriedigen. Doch es kommt leider auch vor, dass auf Kosten des Hundes das menschliche Ego bedient wird.
Dass der Mensch einer Art Gruppenzwang folgt und sich nicht, - oder zuwenig, an den Bedürfnissen seines eigenen Hundes orientiert.
Natürlich gibt es mit Sicherheit auch Hundesportler, die einen achtsamen und einfühlsamen Umgang mit ihrem Hund haben und merken, wann der Hund an seine Grenzen kommt und Pausen oder Alternativen braucht.
Doch dann für seinen Hund einzustehen ist nicht immer ganz einfach. Das weiss ich aus eigener Erfahrung.
"IM LEBEN ZURECHT KOMMEN HEISST: MIT MÖGLICHST WENIG AUFWAND DEN GRÖSSTMÖGLICHEN GEWINN ERZIELEN UND DABEI UNVERSEHRT BLEIBEN."
Dr. Ute Blaschke Berthold
Viele Menschen haben das Gefühl, dass es Hunde gibt, die auf Spaziergängen nur ein Ziel haben: eine Rauferei vom Zaun zu brechen und / oder zu pöbeln. Wieder wird es oft als eine Art "Charakterzug" des Hundes betrachtet.
Doch in Wahrheit ist es der letzte Ausweg aus einer Situation herauszukommen. Eine Situation, in der sein Bedürfnis nach Sicherheit nicht, oder ungenügend befriedigt wurde. Notabene eine Situation, in die ihn sein Mensch gebracht und dann sich selbst überlassen hat.........
Oder es ist eine Strategie, die sich aus solchen Lernerfahrungen mit der Zeit etabliert hat und in ähnlichen Situationen immer früher gezeigt wird.
Könnten Hunde von Anfang an selbst entscheiden, würden sie öfters einen Umweg machen um Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen.
Das Bedürfnis nach sozialer Sicherheit, Mitglied einer stabilen sozialen Gruppe zu sein
Wir Menschen sollten unseren Hunden Familie sein. Unsere Hunde hätten am liebsten, wenn sich unsere Familie in der Zusammensetzung nie verändern würde. Unsere Hunde wären am liebsten 24 Std. / Tag mit uns zusammen.
Doch die Realität sieht oft anders aus:
- in der Nacht und am Wochenende bei Herrchen und Frauchen - an den Werktagen fremdbetreut. Wer Glück hat, kann zu Hause bleiben und wird dort von einem Dogsitter abgeholt. Wer Pech hat, wird von Tagesstätte zu Tagesstätte weitergereicht. Ein Umstand, der unseren Hunden eine enorme Anpassungsleistung abverlangt. Ein Stressfaktor, der nach Möglichkeit auf das Minimum reduziert werden sollte.
- und in den Ferien geht's dann in die Hundepension, wo Hund sich endlich im Rudel austoben kann! Doch dies ist alles andere als ein Bedürfnis des Hundes. Denn ein Rudel ist entgegen der landläufigen Meinung keine wild zusammengewürfelte Hundegruppe. Ein Rudel ist immer ein Familienverband. Blutsverwandt. Und die Tatsache, dass der Hund nach den Ferien tagelang platt liegt und schläft ist nicht der Beweis dafür, dass er endlich einmal ordentlich auspowern konnte. Diese Tatsache ist lediglich der Beweis dafür, dass der Körper das Bedürfnis hat im Schlaf Stresshormone abzubauen, welche sich während dem Ferienaufenthalt angestaut haben. Jetzt. Zuhause. Wo der Hund sich sicher fühlt. Sowohl Dogsitter als auch Hundepension sollten darum sehr sorgfältig ausgesucht werden.
- oft werden Hunde zu Scheidungsopfern. Seine Familie zerfällt. Hilflos muss er zusehen, wie Herrchen oder Frauchen oder gar beide ihn verlassen
- der Auszug von Kindern aus dem Elternhaus kann für den Hund ein sehr belastendes Ereignis sein. Je nachdem, wie starkt seine Bindung zu dem betreffenden Kind war. Natürlich ist das nun wirklich ein völlig normales Ereignis. Doch man sollte den Hund bestmöglich bei der Bewältigung dieser Veränderung unterstützen. Und auch damit rechnen, dass kurzfristig das eine oder andere Verhaltensproblem damit auftauchen kann.
- Mehrhundehaltung kann eine Bereicherung für alle Beteiligten sein. Es gibt jedoch auch Fälle, wo die Hunde schlichtweg schlecht zusammenpassen. Ist dann der Mensch nicht in der Lage, die richtigen Massnahmen zu ergreifen und durchzusetzen, können üble Raufereien, welche sich zunehmend steigern unter den Hunden entstehen.
Das Bedürfnis nach Ruhe und Schlaf
Das Bedürfnis nach Ruhe und Schlaf wird oft unterschätzt. Ein gesunder Hund ruht / schläft 16 bis 20 Std. / 24 Std.
Nur ein ausgeruhter Hund kann auch ein ausgeglichener Hund sein. Und erholsamer Schlaf ist bei vielen nur in vertrauter, sicherer Umgebung möglich.
Wer einen geregelten Tagesablauf hat, kriegt das mit den 16 bis 20 Std. meist ganz gut hin -Wochentags. Doch allein schon die Wochenenden bedeuten für den Hund Unregelmässigkeit und Erwartungsunsicherheit. Denn woher soll der Hund denn wissen, dass wir schon vor einem Monat per Whats App ein Barbecue mit Onkel Heinrich und Tante Gundula mit ihren 3 Havanesern abgemacht haben?
Von den Wanderferien in den Alpen oder im Schwarzwald (ein Beispiel) wollen wir schon gar nicht sprechen. Man sollte diesem Umstand unbedingt Rechnung tragen. Nach Tagen, wo für den Hund viel Unvorhersehbares passierte, sollten Ruhetage eingelegt werden. Je nach Hundetyp sogar mehrere. An diesen Ruhetagen soll nichts weiter geschehen als dösen, Gassi in gut bekannter Umgebung und höchstens ein ganz klein wenig unaufgeregte Beschäftigung in Form von Schnüffelspielen.
Das Bedürfnis nach Sexualität
Dies soll hier kein Plädoyer für oder gegen Kastration oder Sterilisation sein. Das ist ein Eingriff der gut überlegt sein soll.
Doch man sollte sich schon bewusst sein, dass es für einen intakten Rüden sehr belastend sein kann, wenn sich viele läufige Hündinnen in seinem Streifgebiet aufhalten und er nie zum Zug kommt. Oder umgekehrt, für eine Hündin in der Hitze, wenn sie mit allen Mitteln von einem (von Ihr) auserkorenen Rüden ferngehalten wird.
Das Bedürfnis, seine Veranlagungen ausleben zu dürfen
Dies ist zwar etwas, was den Menschen im Grossen Ganzen bewusst ist. Doch oft kann man beobachten, dass sie einer Illusion folgen. Sie reden sich ein, dass man das dann schon irgendwie hinbekommen würde. Dass aus dem passionierten Jagdhund ein Familienhund würde, der seine Familie überallhin und möglichst ohne Leine begleitet.
Oder dass aus dem territorial veranlagten Hund ein Schmusetier würde, das jeden Besucher freundlich begrüsst und in Ruhe lässt wenn dieser das Grundstück betritt. Und dass er sicher auch Hundebesuch in seinem Territorium dulden würde.
Oder dass der Hütehund sich an das Stadtleben gewöhnen würde mit der Zeit.
Was dabei oft vergessen, oder falsch eingeschätzt wird: Der Hund kann solche Veranlagungen nicht einfach vergessen! Genetisch verankertes Verhalten (und auch Anderes) kann sich nicht einfach in Luft auflösen!
Man muss also im Stande sein, seinem Hund ein akzeptables Alternativverhalten anzubieten und aufzutrainieren. - Was unbequemer Weise mit Arbeit und Aufwand verbunden ist.
Und man muss sich auch bewusst sein, dass der Hund in Situationen, in denen er gestresst ist, immer als erstes Bewältigungsstrategien entwickeln wird, die seinen angeborenen Verhaltensweisen entsprechen und Rechnung tragen.
Um das mit den obigen Beispielen zu erklären:
Ein frustrierter, gestresster Jagdhund wird womöglich Nachbars Katze jagen und diese eventuell sogar auch erwischen...... Ein gestresster, territorial veranlagter Hovawart wird seine guten Manieren vergessen und dem Havaneser, der doch nur zu Besuch kommt, die Nase polieren. (Die Rassen werden hier nur als mögliches Beispiel genannt. Es können auch andere Rassen sein.) Oder den Onkel am Gartentor stellen und festnageln. Ein gestresster Bordercollie wird damit beginnen Kinder oder Fahrräder oder andere Hunde oder Autos zu "hüten". Was für die "Behüteten" nicht nur sehr unangenehm, sondern für ihn selbst auch gefährlich werden kann.
Und damit wären wir wieder bei den Bedürfnissen nach Sicherheit, sozialer Sicherheit, Erwartungssicherheit und Ruhe angelangt. Sind diese Grundbedürfnisse befriedigt, dann fällt es Hunden viel leichter, auf andere Bedürfnisse zu verzichten bzw. Alternativen dazu anzunehmen.
Bedürfnisse inkognito
Es passiert mir nicht selten, dass ich bei einem ersten Hausbesuch viele ungefragte Informationen erhalte:
"Wissen Sie, Bello ist ein vollwertiges Familienmitglied! Sogar als wir das Haus bauten haben wir an ihn gedacht und extra diese Plattenböden verlegen lassen!"
"Für meinen Hund ist mir nichts zu viel! Wir fahren mindestens 1x im Monat in die Zoohandlung und kaufen ihm ein Spielzeug!"
"Und wir hätten ja dieses Nullachtfünzehn- Brustgeschirr kaufen können. Doch wir haben uns für die teure Luxusvariante mit aufgesticktem Namen entschieden!"
"Peggy hat fünf verschiedene Regenmäntel! Alle passend zu den fünf verschiedenen Leinen!"
Hand aufs Herz! Alle diese Dinge decken nicht die Bedürfnisse des Hundes ab. Sie befriedigen die Bedürfnisse des Menschen!
Der Hund würde lieber in einem Haus mit möglichst dicken Teppichböden leben, weil man dann überall so schön weich und bequem liegen könnte. Die Plattenböden sind zwar leicht zu reinigen, doch das ist dem Hund völlig schnuppe! Ganz im Gegenteil. Sind die Böden allzu glatt, belasten sie seine Gelenke unnötig.
Der Hund nimmt vermutlich das monatlich gekaufte Spielzeug gerne an. Doch genau so gerne (ich fürchte noch viel lieber) würde er einen Ausflug in den Wald oder ans Wasser machen. Nach Mäusen buddeln oder sich im Schlamm wälzen!
Ob sein Name auf seinem Brustgeschirr steht - das lässt ihn sowas von kalt! Viel wichtiger ist für ihn, dass sein Brustgeschirr seine Schultergelenke nicht einschränkt und überhaupt gut und bequem sitzt.
Und Regenmäntel - naja. Für "Nacktschnecken" ohne Unterwolle werden sie wohl ein notwendiges Übel sein, um einigermassen angenehm Gassi gehen zu können, wenn es regnet. Doch solche (und auch viele andere) Hunde würden sich bei Hundewetter sowieso lieber hinter den Ofen verkriechen und den Tag verdösen.....
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